Dateline: Sesen Episode 9

New United Journalist tötet Mann im Einsatz. Yadav behauptet es war Selbstverteidigung. Advocacy behauptet es war Mord.

„Nein, nein, nein, nein …“ wiederholte Yadav immer und immer wieder, während sie die Weste nach einem Erste-Hilfe-Set abtastete.

Blut tröpfelte aus dem Mundwinkel des Schützen und als er versuchte zu reden, stieg Gurgeln aus den tiefen seiner Brust. Mit einem ruckhaften Schwenker drehte er seinem Kopf zu Yadav und flehte sie mit seinen Augen an.

„Halte durch,“ bettelte sie. Und obwohl ihre Finger die Taschen aufriss, wusste sie, dass es nichts gab was sie tun konnte.

Die Verfolgung sollte nicht so ausgehen. Galle stieg ihr in den Hals und sie musste bewusst dagegen ankämpfen, um sie unten zu halten. Sie versuchte vernünftig mit sich selbst zu sein – er hat versucht sie zu töten. Sie konnte sich doch nicht dafür schlecht fühlen, dass sie sich selbst verteidigt hatte.

Aber er war so jung. Von weiten, mit seiner schwarzen Kapuze übergezogen, war es ihr nicht möglich sein Alter zu schätzen.

Er konnte nicht älter als achtzehn oder neunzehn sein.

Sie zog die Hygienetücher hervor, aber was sollten die helfen. Eine zweite Haut für Verbrennung wurde nicht gebraucht. Aber hier, – Stimulanzien. Ein Zug würde vielleicht das Sterben erleichtern. So wäre es, wenn er es inhalieren könnte.

Sie zündete es trotzdem an.

Mit ihm sollte es keine Befragung mehr geben. Alles was sie tun konnte war zu warten bis das Licht erlosch. Sie drückte, seinen Puls fühlend, ihren Daumen gegen sein Handgelenk. Der Rhythmus verlangsamte sich mit jedem Schlag. Nach dem letzten Pochen, wartete sie eine volle Minute bevor sie seine Augen schloss.

Dann öffnete sie den Reißverschluss seiner Jacke. Sie musste ihn Durchsuchen bevor sie ging. Ich gehe nicht  zurück zum Hügel solange ich nicht weiß, warum du versucht hast mich umzubringen. Er trug kein Shirt darunter und seine Brust und Arme waren über und über mit Tätowierungen versehen. Alles, von einem Banu-Profil, über zwei Cutlasses im Luftkampf, bis hin zu formlosen Gedicht zierten seine Haut. Es sah alles hausgemacht aus. Einige waren vielleicht sogar selbst gestochen.

Seine beiden Ärmel hochkrempelnd, untersuchte sie seine Vorderarme. Auf der Innenseite seines linken Handgelenks, an einer ähnlichen Stelle wie ihre Presse-Tätowierung, war ein abstraktes Symbol, welches ihr ins Auge stach Sie hatte dieses Symbol irgendwo vorher schon einmal gesehen. Vor kurzem. Es war das Selbe wie einige der Graffitis – diejenigen welche sie zuvor als Überdeckung anderer Markierungen gesehen hatte.

War er ein Gangmitglied?

Auf ihre Lippe beißend öffnete sie wieder seine Augen und zog die Lieder zurück. Vielleicht war er nur ein verrückter Junkie, der ohne speziellen Grund Yadav töten wollte. Ein Zufallsschütze. Vielleicht mochte er einfach ihr Gesicht nicht.

Aber seine Augen waren klar, genauso seine Venen. Jedoch trug er eine ungewöhnliche Kontaktlinse. Sanft, um sicherzugehen, dass sie nicht riss oder wegschnippte, entfernte sie diese von seinem Auge. Ein holographisches Bild schien in die Linse eingebettet zu sein.

Die Hygiene ließ sie zögern, aber die Neugier siegte schließlich. Sie zog ihr unteres Lid herunter und schob die Kontaktlinse über ihr rechtes Auge. Trocken und kratzig zwang es sie wiederholt zu blinzeln bevor sie das eingebettete Bild erkennen konnte. Ihren Fingern kribbelte es danach in ihrer Augenhöhle zu reiben, aber sie wusste, dies würde die Reizung nur schlimmer machen.

Es war eine Karte, aber keine statische Karte. Ein kleiner roter Punkt blinkte, ihr winkend, links in ihrem Sichtfeld. Die Leiche vergessend, erhob sie sich und strauchelte in die Richtung des blinkenden Lichts. Es führte sie, nur ein paar Gebäude weiter, zu einem verlassenen dreistöckigen Apartmentkomplex mit einem riesigen Loch durch seine Mitte. Sie konnte vom Erdboden bis nach oben in den Himmel sehen. Dieser Ort hatte einen komischen Geruch – anstatt des krustigen Geruchs sonnengebrannter Erde, trug er einen chemischen Note. Etwas Industrielles war vor kurzem noch ihr, sauber und neu. Vielleicht frisch in Säure gewaschen.

In einer der inneren Wände war eine große, gepanzerte Tür eingebaut. Dick mit schweren Bolzen. Die Tür erinnerte sie an ein altes Hotelschließfach.

„Du siehst aus als würdest du hier nicht hingehören.“, sagte sie, überrascht so etwas hier vorzufinden. Aber allem Anschein nach war das rote Blinklicht genau in seiner Mitte angesiedelt.

Hatte der Schütze sie die ganze Zeit genau hierher treiben wollen? Sollte er ihren Körper am Ende da hinein stopfen? Seltsamer Weg einen Toten zu entsorgen. Aber was könnte sonst  darin sein? Warum würde er eine Karte brauchen um hierher zu gelangen. Wozu war es gut?

Zu viele Fragen. Sie hasste es so viele offene Fragen zu haben. Manchmal dachte sie das war der Grund warum sie nach Antworten stöberte – um all die Ungewissheiten die ihr im Kopf herumschwirrten ruhig zu stellen.

An der Tür, direkt unter der abgeschlossenen Türklinke, saß ein Scanner, der danach aussah, als stamme er von Chimera Communications. Er kontrollierte eindeutig den Verschlussmechanismus. Aber wo war der Schlüssel? Nach was für einer Art Eingabe verlangt er?

Als Test, legte sie ihre Handfläche auf die Glasplatte des Scanners. Nichts passierte. Es sah zu groß aus für einen Augenscanner, aber sie lehnte sich trotzdem vor, in der Hoffnung die Kontaktlinse war Karte und Schlüssel zugleich.  Kein Erfolg.

Sie sah sich auf der Suche nach Hinweisen um. Jemand war zuvor hier gewesen, nutzte diesen Ort zuvor. Vielleicht haben sie etwas zurück gelassen.

Mehr Trümmer, mehr Graffiti. Nichts war außergewöhnlich, außer der Tür.

Schnaubend setzte sie sich auf eine schiefe Steinplatte, welche einmal eine Wand war. Rote und braune Kleckse beschmutzten ihre Hände – eine Mischung aus Dreck und Blut. Der wahnsinns Rausch des Adrenalins, welcher sie durch die Verfolgung gejagt hatte, war verschwunden. Erschöpft, physisch und mental verausgabt, bewegte sie sich für einige Minuten nicht.  Sie starrte einfach die Tür an, in der Hoffnung, dass etwas daraus zu ihr hinaus springen würde.

Ihre Gedanken wanderten zu Haddix. Vielleicht, sobald sie es zurück ins Hauptquartier schaffte, könnte sie seine Nächsten aufspüren und … und was dann? Der Gedanke war fremd, seltsam. Sie hatte davor nie daran gedacht, die Familie eines toten Kollegen aufzusuchen. Aber dann wiederum, sie musste niemals die Schuld für den Tod von jemanden schultern.

Schuld war ein ungewöhnliches Gefühl für Yadav, für viele Jahre vergessen. Es fühlte sich harsch an, wie sonnenbeschädigtes Leder. Sie lebte ohne Bindungen, keiner Person oder Gruppe verpflichtet außer ihr selbst, abgesehen von New United. Die Dinge waren so einfacher. Menschen waren der einzig wahre Grund für Tragödien. Sie gruben all die verrotteten Dinge in der Welt aus und hinterließen komplizierte, kranke Gefühle – Schmerz, Wut, Schuld, Leid – in ihrem Sog.

Menschen waren kompliziert, aber neue Geschichten waren einfach. Sie war ein traditioneller Typ von Reporter. Bloß die Fakten. Keine Verdrehungen, keine Unterlassung. Nur wer, was, wo, wann. Warums komplizierten die Dinge, erschwerten alles und waren immer offen für Interpretationen. Sie mochte keine Interpretationen – sie verdrehten die Realität.

Aber dieser Job fühlt sich nicht an, als wäre er so eindeutig. Haddix war tot das änderte alles. Seine Kinder würden fragen warum, und sie musste einen Grund angeben, die Situation für sie erklären. Trockene Fakten würden nicht genug sein.

Sie strich ihre Hände über die Kante der Steinplatte, wobei sie kleine Stücke abrieb. Seufzend legte sie ihren Kopf zur Seite, in dem Versuch eine neue Perspektive auf die gewaltige Tür zu bekommen. Sie präsentierte eine physische Blockade, aber sie schien genauso eine mentale Blockade zu repräsentieren. Wenn sie durchbrechen könnte, was würde sie auf der anderen Seite finden?

Ihr Blick wanderte abermals zu dem Graffitiklecks  neben der Tür. Es war eine weiteres übermaltes Stück, mit einem roten Emblem an der Spitze – dasselbe welches zu der Tätowierung des Schützen passte.

Sie stöhnte, als sie zwei und zwei zusammen zählte.

Die Tätowierung war der Schlüssel.

Sich auf die Beine hievend, verließ sie widerwillig das Gebäude und wand sich ihren Weg zurück zu der Leiche. Er war immer noch da, unberührt, auf gepfählt von den Stahlstäben.

Wie sollte sie sein Handgelenk von A nach B bringen?

Variante eins beinhaltete das Hochstemmen seines Körpers über die Stäbe. Das Stahlgeflecht war kurz – erhob sich etwa zehn Zentimeter über ihren Kopf. Vielleicht machbar, wenn sie die Kraft dafür aufbringen konnte. Variante zwei war der einfachere Weg, drehte ihr aber den Magen um. Wenn alles was sie benötigte die Tätowierung war, warum dann nicht einfach dieses abschneiden? Sicher war ein Messer in der Weste.

Nein, Variante zwei würde nicht passieren. Sie hatte bereits seinen Tod verursacht, sie würde nicht auch noch seinen Körper schänden.

Yadav stellte sich unter seinen Brustkorb und drückte ihn mit ihren Schulterblättern und Rücken hoch. Dickes und klebriges Blut rann die Stahlreben hinunter wie dunkler Sirup. Bei ihrem ersten Versuch erhob er sich nur einen halben Meter. Sie brauchte vier weitere Versuche, ihn über ihren Kopf zu hieven und einen fünften ihn heraus und runter zu heben.

Er schlug mit einem scheußlichen, dumpfen Schlag auf dem Boden auf.

Sie pausierte für einen Moment. Ihre Lippen schürzend, wandte sie sich von seiner hingestreckten Gestalt ab. Uh. Die Morbidität der Situation eröffnete sich ihr in ihrem vollen Ausmaß. Ihre Lunge stotterte bei jedem Atemzug, und sie würgte zweimal, bevor sie sich fassen konnte.

Der Abstand von da, wo er abgestürzt war, bis zu dem Gebäude mit der Tresortür schien vorher kürzer. Vielleicht ein paar hundert Meter. Aber jetzt, wo sie einem schlaffen  Körper durch unebene Gasse schleppte, fühlte er sich ewig lang an.

Schließlich erreichte sie die Tür. Als sie seine Leiche heran zog erwachte der Scanner zum Leben. Er spürte den Schlüssel.

Außer Atem und mit ihren schmerzenden Muskeln, brachte sie aus ihren Tiefen noch einmal  einen Energiestoß zu Tage.  Sie hievte den Körper an einem Arm hoch und positionierte die Tätowierung  über dem Scanner. Die Tür tat den Rest.

Der Mechanismus in der Wand stöhnte und quietschte. Die Verschlussbolzen glitten mit gut eingeölter Leichtigkeit weg. Langsam öffnete sich die Tür automatisch und zwang Yadav den Körper des Schützen aus dem Weg zu ziehen.

Sie war sich nicht sicher, was sie sich erhofft hatte zu finden. Noch mehr Leichen? Waffen? Ein geheimes Versteck von Diamanten und Rubinen.

Was immer sie erwartet hatte, es kam der Wahrheit nicht einmal nahe. Auf der anderen Seite der Tür lag eine Wendeltreppe. Sie schlängelte sich hinab, hinab, hinab in die Dunkelheit unter der Stadt.

Fortsetzung folgt…

Übersetzung Cyan

von www.star-citizen-news-Radio.de

Original: RSI


// End Transmission

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